Ist es vertretbar, ausgerechnet aus dem Krieg in der Ukraine eine Laufzeitverlängerung für Hochrisikoanlagen abzuleiten?

FAQ

Nein. Im russischen Krieg gegen die Ukraine fanden auch Angriffe auf die ukrainischen Atomanlagen statt.

Im Zentrum der gesellschaftlichen Konflikte und der Entscheidung für den deutschen Atomausstieg standen und stehen Sicherheitsfragen: Die Nutzung von Atomenergie erzeugt für Mensch und Umwelt bereits im Normalbetrieb Hochrisikostoffe und hinterlässt langfristig hochgiftige und strahlende Abfälle. Durch Anwendung sehr strenger Sicherheitsvorkehrungen ist es möglich, Atomkraftwerke so zu betreiben, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit für katastrophale Unfälle deutlich reduziert werden kann. Mehrfach in der Geschichte hat sich gezeigt, dass Unfälle nicht ausgeschlossen werden können. Die daraus resultierenden Folgen können katastrophal für eine Gesellschaft und die betroffene Umwelt sein.

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben sich die Bewertungsgrundlagen für den Atomausstieg in Deutschland und anderen Ländern – das Risiko katastrophaler Unfälle – nochmals verschärft. Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Unfällen in Friedenszeiten: Die Unfälle in westlichen Reaktortypen (Windscale in Großbritannien in den 1950ern, Harrisburg in den USA 1979), der Explosion eines Reaktors sowjetischer Bauart (Tschernobyl 1986) und schließlich Havarien westlicher Reaktoren (Fukushima 2011). Mit dem 11. September 2001 ist deutlich geworden, dass auch großskalige terroristische Aktivitäten konkrete Bedrohungslagen darstellen.

Mit dem Krieg in der Ukraine sind zivile kerntechnische Anlagen zum ersten Mal zum klaren Ziel kriegerischer Auseinandersetzungen geworden. Kerntechnische Anlagen können gegen diese Form der Bedrohung nicht ausgelegt werden. Die bisherige Grundannahme, kriegerische Handlungen an Atomkraftwerken seien nicht denkbare Szenarien, muss daher revidiert werden. Entsprechend notwendige Konsequenzen müssen national und international diskutiert werden. Atomenergie wird in derartigen Fällen zur Bedrohungsenergie.

Jedes bisherige Extremereignis hat deutlich gemacht, dass es Szenarien für die Sicherheit von Atomkraftwerken gibt, die zuvor aufgrund der Undenkbarkeit ihres Eintritts nicht spezifisch im Sicherheitskonzept von Atomkraftwerken berücksichtigt wurden. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat gezeigt, dass kriegerische Handlungen an Atomkraftwerken als Szenario nicht mehr ausgeschlossen werden können. Dabei beschränken sich die Bedrohungslagen nicht nur auf den Beschuss von AKW, auch sogenannte hybride Angriffe wie Cyber-Attacken sind möglich.

Demzufolge ist zu fordern, dass die Sicherheits- und Sicherungsanforderungen an Atomkraftwerke im Hinblick auf diese neuen Bedrohungsszenarien geprüft und konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Schutzes von Atomkraftwerken abgeleitet werden. Ihre Umsetzung wäre Teil eines Sicherheitsmaßstabes, der sich aus dem Grundgesetz ergibt und damit auch für den Gesetzgeber für die Frage einer Laufzeitverlängerung verbindlich ist. Da erfahrungsgemäß ausgeschlossen ist, dass sich derartige Maßnahmen kurzfristig umsetzen lassen, wenn überhaupt noch, stellen sie faktisch eine wesentliche verfassungsrechtliche Hürde für eine Laufzeitverlängerung dar.

https://www.bundesumweltministerium.de/FA1870

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