Was sagt das BMUV zu Behauptungen, es habe einen zu strengen Sicherheitsmaßstab angelegt?
FAQBesonders kritisch sieht das BMUV, dass manche Befürworter*innen von Laufzeitverlängerungen selbst erst gar keinen Maßstab angeben, der an eine derartige Frage bzw. Prüfung anzulegen ist. Derartige Behauptungen, Laufzeitverlängerungen wären möglich, ohne dabei den Sicherheitsmaßstab zu benennen, der erfüllt sein muss, sind unseriös und fachlich unqualifiziert.
Daneben wird teilweise behauptet, maßgeblich wären lediglich die sogenannten Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke ("SiAnf") vom 22. November 2012. Der Maßstab für die Sicherheitsbewertung einer Genehmigungsbehörde ist nach dem Atomgesetz die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge. Dieser Maßstab ist aber nicht ein einzelnes Regelwerk, schon gar kein zehn Jahre altes, im Kompromiss zustande gekommenes wie die SiAnf. Dieses Regelwerk sollte nicht den neuesten Stand der Reaktortechnik wiedergeben sondern auf Altanlagen zugeschnitten sein. Zwar ist der Gesetzgeber keine Genehmigungsbehörde, aber das Bundesverfassungsgericht hat diesen hohen Sicherheitsmaßstab aus den Grundrechten abgeleitet, so dass auch er daran gebunden ist. Hinzu kommt, dass nicht einmal gewährleistet ist, dass die laufenden Anlagen vollständig den SiAnf entsprechen, weil die nicht vollständig überprüft werden musste. Diese Einschränkung hat Bayern durchgesetzt.
Deshalb ist bei der Prüfung einer Laufzeitverlängerung der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik als Beurteilungsmaßstab anzulegen. Dieser muss, wie bereits der Name sagt, den aktuellen Stand der Technik berücksichtigen, der unter anderem durch aktuelle Reaktortypen wie den EPR (European Pressurized Reactor) definiert wird. Ferner sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft auch Risiken zu prüfen, gegen die noch keine Schutzvorkehrungen entwickelt wurden.
Völlig unstrittig sollte sein, dass der strenge Stand von Wissenschaft und Technik erst recht nicht hinter Anforderungen zurückfallen darf, die schon längst gelten. Hierzu zählt beispielsweise diejenige, die der Gesetzgeber mit einer Atomgesetznovelle schon Mitte der 1990er Jahre an Genehmigungsentscheidungen zur AKW-Inbetriebnahme gestellt hat: Das AKW müsse so konstruiert sein, dass Auswirkungen eines Reaktorunfalls auf das AKW-Gelände beschränkt blieben. Dies erfüllt unstrittig keines der bestehenden deutschen AKW.
Entscheidend an dieser Stelle ist, dass dieser Umstand im Falle einer Laufzeitverlängerung anders als bei den Routineprüfungen zum Tragen kommt. Vereinfacht gesagt hat aus jeweils unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Gründen einerseits die Atomaufsicht engere Grenzen, in den laufenden AKW-Betrieb einzugreifen, andererseits der Gesetzgeber bezüglich einer Laufzeitverlängerung nicht mehr den Eigentumsschutz der Betreiber sondern nur noch den Grundrechtsschutz der betroffenen Bürger*innen zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich der deutlich strengere Maßstab.