Umweltminister Schneider: "Gaskraftwerke brauchen wir für ein stabiles Energiesystem"

01.12.2025
Carsten Schneider setzt sich im Interview mit der Augsburger Allgemeinen für eine pragmatische Klimapolitik ein. Denn auch in einer wirtschaftlich herausfordernden Lage sollte der Klimaschutz nicht vernachlässigt werden.

Augsburger Allgemeine: Herr Schneider, das Pariser Klimaschutzabkommen jährt sich in diesen Tagen zum zehnten Mal, doch heute scheint von den damaligen Hoffnungen nur noch wenig übrig. Ob in der Bundesregierung oder beim Weltklimagipfel im brasilianischen Belém – wie undankbar ist es, 2025 Bundesminister für Umwelt und Klimaschutz zu sein?

Carsten Schneider: Ich mache das total gern. Ich wollte dieses Ressort übernehmen, denn es geht hier um Fortschritt für die Welt. Aber das nicht nur aus einer moralischen Verpflichtung gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern, sondern auch mit einer klaren ökonomischen Orientierung. Wir sind jetzt in der Phase, wo die Beschlüsse von Paris umgesetzt werden. Und wie das immer so ist in der Umsetzung – es knirscht. Es wird dann einfach real. Aber man sieht auch jeden Tag, dass es Fortschritt gibt. Bei der Weltklimakonferenz ist deutlich geworden, dass es weltweit doppelt so viele Investitionen in erneuerbare Energien gibt wie in fossile. Das hätte es vor Paris nicht gegeben.

In der Bundesregierung entsteht der Eindruck, Sie sind vor allem der Gegenspieler von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, der dafür sorgen muss, dass die Beschlüsse von vergangenen Regierungen nicht völlig abgewickelt werden...

Ich empfinde diesen Eindruck als falsch. Ich fühle mich auch vom Kanzler, der ebenfalls nach Belém gefahren ist, unterstützt. Wir sind in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und ich habe mir die Frage gestellt, ob der Klima- und Naturschutz daran schuld sind. Und ich bin zum Ergebnis gekommen: Nein, sind sie nicht. Die Probleme der Unternehmen resultieren aus mittlerweile abgeschotteten Märkten wie den USA, Zöllen, hohen Energiekosten durch den russischen Angriff auf die Ukraine und daraus, dass China heute ein starker Wettbewerber und nicht mehr nur Absatzmarkt ist. Eine zuverlässige Klima- und Umweltpolitik lässt aber auch neue Märkte entstehen. Das ist meine Analyse. Und mit Katherina Reiche verbindet mich ein sehr belastbares Vertrauensverhältnis.

Ihr Vorgänger als Klimaschutzminister, Robert Habeck von den Grünen, hat ja ein großes grünes Wirtschaftswunder versprochen, doch davon ist nichts zu spüren. Deutschland befindet sich in einer anhaltenden Rezession und viele Stimmen sagen, wir können uns den Klimaschutz gar nicht mehr leisten – eine berechtigte Sorge?

Beide Interpretationen halte ich für eine Übertreibung, aber ich bin auch ein vergleichsweise nüchterner Mensch. Wir hatten Stagnation über drei, vier Jahre, jetzt müssen wir wieder auf Wachstumskurs kommen und die Regierung hat an vielen Punkten die Schalter umgelegt. Es gibt Entlastung beim Strompreis oder bei den Sonderabschreibungen. Ich wünsche mir, dass sich das auch in neue Zuversicht übersetzt. Was jedenfalls nicht helfen würde, wäre ein klimapolitischer Schlingerkurs in voller Fahrt. Die Wirtschaft braucht doch auch Planungssicherheit.

Habeck hat also die Chancen der Energiewende in zu leuchtenden Farben gezeichnet, zu dick aufgetragen?

Die Chancen sind groß – aber es braucht neben der Energiepolitik natürlich auch Wirtschaftspolitik und davon hätte es in den letzten Jahren mehr geben können. Ganz grundsätzlich, weil ja 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie sind: Ein bisschen mehr Zuversicht und ein bisschen weniger Dystopie und Melancholie täten uns gut. Ich will jedenfalls meinen Beitrag dazu leisten.

Das hat Frau Reiche ja mal ähnlich formuliert, als sie gesagt hat, Habeck habe den Klimaschutz überbetont...

Ich glaube, man interpretiert da zu viel rein. Wenn wir in der Politik jedes Wort auf die Goldwaage legen, sind wir irgendwann nur noch Sprechautomaten. Ich gehe nüchtern an die Dinge ran und versuche, politische Prozesse klug zu steuern, die Märkte sich entfalten zu lassen, dafür die Rahmenbedingungen zu setzen und so erfolgreiche Geschäftsmodelle zu ermöglichen. 

Der Koalitionsausschuss hat sich auf mehr Flexibilität bei der Auto-Regulierung geeinigt. Ist damit das Verbrenner-Aus gekippt?

Es gab nie ein Verbrenner-Verbot, sondern immer nur die Vorgabe, dass Neuwagen ab 2035 keine CO2-Emissionen mehr produzieren. Dabei soll es bleiben, wenn es nach der Bundesregierung geht. Nach 2035 sollen neben rein batterieelektrischen Fahrzeugen weiterhin Autos neu zugelassen werden, die einen doppelten Antrieb haben. Das betrifft Plug-in-Hybride und Elektroautos mit Reichweitenverstärker. Im Gegenzug sollen die Mehremissionen ausgeglichen werden, etwa durch den Einsatz von grünem Stahl in der Automobilproduktion oder erneuerbare Kraftstoffe. In der Summe gibt es mehr Flexibilität für die Autobauer, aber das Ziel und die Klimawirkung bleiben erhalten. Ich finde, das ist eine pragmatische Lösung.

Und was ist mit sogenannten hocheffizienten Verbrennern? Für die tritt ja die Ministerpräsidentenkonferenz ein.

Genau. Darum haben wir neben der Position der Bundesregierung auch die der Länder nach Brüssel übermittelt. Die EU-Kommission hat natürlich nicht nur Post aus Deutschland bekommen. Sie wird sich jetzt ein umfassendes Bild machen und dann im Dezember einen Vorschlag für neue Regeln vorlegen.

Die Regierung hat zuletzt auch weitere Gaskraftwerke beschlossen, die die Schwankungen bei den Erneuerbaren ausgleichen sollen. Wie vehement darf man sich da Ihre Opposition im Kabinett vorstellen?

Gaskraftwerke brauchen wir für ein stabiles Energiesystem, wenn Dunkelflaute herrscht. Sie müssen halt umrüstbar sein auf grünen Wasserstoff, damit sie klimaneutral betrieben werden können. Ich habe auch die CCS-Technologie unterstützt, also die Speicherung von Kohlendioxid. Das meine ich mit Pragmatismus. Ich halte das für ein Instrument, das man nutzen kann, um CO2-intensive Bereiche wie die Zementindustrie in Deutschland zu halten. Das haben wir möglich gemacht, ohne große Diskussion. Weil zugleich klar ist, was der Hauptfokus ist: die erneuerbaren Energien, eine große Erfolgsgeschichte, die wir hier in Deutschland global marktfähig gemacht haben. Damit haben wir der Welt das größte Geschenk gemacht...

Inwiefern?

Viele Länder der Welt können in ihrer Industrialisierung die fossile Phase heute einfach überspringen. Es ist leichter und günstiger, Solaranlagen und Windräder zu bauen als ein neues Kohlekraftwerk. Die dezentralen erneuerbaren Energien schaffen noch dazu mehr Jobs und kommen auch in die kleinsten Dörfer, die noch nicht ans Stromnetz angeschlossen sind. Pakistan zum Beispiel erlebt gerade einen Solarboom – ohne öffentliches Geld. Auch für Deutschland ergibt das ökonomisch sehr viel Sinn: Wir zahlen immer noch 80 Milliarden Euro pro Jahr vor allem für fossile Energieimporte und machen damit manche Länder sehr, sehr reich, sodass die dann in Teilen die Weltpolitik bestimmen können. Davon möchte ich gerne unabhängiger werden.

In der Energiewende sollte Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen, doch davon war zuletzt wenig zu hören...

Wir werden jetzt ein Transportnetz als Rückgrat für den Wasserstoff schaffen. Heute importieren wir noch Gas. In Zukunft wird es Wasserstoff sein. Da ist es mir am Anfang erstmal relativ egal, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Am Ende wird er dann aus erneuerbaren Energien gewonnen sein. Länder, die bisher keine Rohstoffe haben, also kein Gas und kein Öl, aber viel Sonne und/oder Wind, können daraus grünen Wasserstoff machen und transportieren. Das Thema bietet große wirtschaftliche Chancen.

War auch die deutsche Entscheidung, ausgerechnet während des Ukrainekriegs, als das russische Gas nicht mehr kam, die letzten Atomkraftwerke noch abzuschalten, ein Fehler und hauptsächlich Ideologie?

Diese Diskussion ist in der Bundesrepublik West in den 80er, 90er Jahren geführt und nach einer sehr intensiven gesellschaftlichen Debatte entschieden worden – für den Atomausstieg. Wir haben dann 2022 die Laufzeiten der drei Atomkraftwerke, die noch am Netz waren, etwas verlängert. Wer übrigens glaubt, die Atomkraft koste so gut wie nichts, der irrt sich. Die Kosten für neue Atomkraftwerke explodieren regelrecht und rechnen sich nur mit massiven staatlichen Subventionen. Und die Kosten für die Zwischenlagerung des Atommülls und die Endlagersuche kommen noch obendrauf. Bei mir hat sich auch noch niemand gemeldet und gesagt, er hätte gerne das Endlager bei sich.

Zielen Sie auf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der den Bau von Mini-Atomkraftwerken gefordert hat?

Diese sogenannten kleinen Reaktoren sind ein Phänomen: Man hört zwar viel von ihnen, aber man sieht sie nie. Auch nach Jahrzehnten arbeitet die Branche vor allem an Ankündigungen, ringt um Subventionen, aber schafft den Durchbruch nicht. Auf sowas sollte man keine seriöse Energiepolitik aufbauen. Davon abgesehen produzieren auch kleine Reaktoren Atommüll, für den es ein Endlager braucht. Und da wünsche ich mir, dass sich alle Verantwortungsträger hinter die wissenschaftsbasierte Endlagersuche stellen. Denn es ist klar, dass es Diskussionen geben wird.

Wann fällt die Entscheidung?

Früher als derzeit geplant. Ich habe als Auftrag ins Haus gegeben, alle Beschleunigungsoptionen zu nutzen. Denn wenn wir erst in den 2070er Jahren mit der Einlagerung beginnen, ist es viel zu spät.

Peilen Sie denn ein bestimmtes Jahr an?

Das kann ich noch nicht sagen, aber wir werden das jetzt mit großem Nachdruck verfolgen. Jedes Jahr Verzögerung verteuert die Zwischenlagerung. Da laufen die Genehmigungen aus und viele Menschen finden eben auch die Perspektive sehr langer Zwischenlager in ihrer Heimat nicht besonders toll. Deswegen werde ich nächstes Jahr einen Vorschlag machen, wie wir das Ganze beschleunigen können.

Das sogenannte Heizungsgesetz will die Bundesregierung in seiner jetzigen Form abschaffen. Sie dagegen sagten, es soll "im Grundsatz" bleiben. Was passiert denn nun damit?

Die beiden Ministerinnen, Wirtschaftsministerin Katherina Reiche und Bauministerin Verena Hubertz, arbeiten da federführend an einem Konsens. Ich finde es gut, wenn das diesmal ohne großen Streit gelingt.

Wobei das Heizungsenergiegesetz ja eher Hausbesitzer auf dem Land begünstigt. Nicht gerade Ihre Kernwählerschaft. Im nächsten Jahr stehen fünf Landtagswahlen an. Wie wollen sie verhindern, dass die AfD diese Klimathemen für sich ausschlachtet?

Wir schauen gerade als Sozialdemokraten sehr viel stärker auf das Soziale. Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass wir bei den Förderungen, ob das nun die Heizung oder das E-Auto ist, zielgenauer vorgehen. Für mich bedeutet das: Die Zuschüsse gibt es für die, die es wirklich nötig haben. Damit bei knappen öffentlichen Mitteln alle die Chance haben, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Da bin ich mir übrigens auch einig mit der Wirtschaftsministerin. Es gibt auch schon gute soziale Ausgleichsmechanismen, die viel zu wenig bekannt sind: Bei unsanierten und schlecht gedämmten Häusern zahlt beispielsweise der Vermieter fast die gesamten CO2-Kosten.

Wenn wir schon bei der AfD sind: Auf EU-Ebene könnten die Rechtsaußenparteien bald ganz aktiv den Klimaschutz entkernen. Beim Lieferkettengesetz stimmte die konservative EVP-Fraktion, zu der auch die Unionsparteien gehören, mit den Rechten, zuletzt auch bei der Entwaldungsverordnung. Ähnliches droht beim Verbrenner-Aus, vielleicht auch beim Zertifikatehandel. Wie groß ist ihre Sorge, dass die Rechten den Klimaschutz in Europa beerdigen?

Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Als Bundesregierung tun wir unser Bestes, im Rat der Mitgliedstaaten für eine Politik der Mitte einzustehen. Es kommt entscheidend darauf an, dass Koalitionen wie unsere erfolgreich sind, damit Europa nicht weiter nach rechts abdriftet. Das würde Deutschland und Europa enorm schaden.

Zum Schluss noch ein Blick auf die internationale Politik. Sie sind gerade aus Belém zurückgekehrt, wo die Weltklimakonferenz stattgefunden hat. Wie ist denn ihr Fazit? Hat Deutschland in der Klimapolitik noch Partner?

Auf jeden Fall. Was den Ausstieg aus fossilen Energien betrifft, haben wir als Europäer geschlossen gestanden, zum Beispiel mit Großbritannien, Kenia und vielen Ländern in Mittel- und Südamerika. Aber auch China, Japan oder Südkorea sind wichtige Partner, die im eigenen Land große Fortschritte machen. Dass ein paar ölfördernde Länder bremsen, ist leider üblich. Aber ein großer Teil der Weltbevölkerung steht für mehr Klimaschutz ein. Jetzt gilt es, konkrete Schritte zum Ausstieg aus fossilen Energien festzulegen. Auch beim Schutz des Regenwalds gab es große Fortschritte. Und, weil manche mich drauf angesprochen haben: Ja, wir kümmern uns um den Regenwald, weil der so groß ist, dass die Folgen seiner Abholzung auch bei uns spürbar sind. Aber wir kümmern uns auch um den Thüringer Wald und den Harz.

Gab es auch Kritik an der deutschen Rolle im Klimaschutz?

Von den anderen Ländern? Nein, gar nicht. Wenn, dann gab es Vorwürfe, dass wir unsere Wirtschaft schützen, mit der Bepreisung von CO2 bei Importen. Das kommt vor allem von Ländern wie Saudi-Arabien. Da habe ich dann gegengehalten.

Wie sehr mussten Sie dann die Merz-Äußerungen über Belém ausbaden?

Gar nicht. Es ist halt zu einem Missverständnis gekommen. Aber ich glaube, die Brasilianer wissen sehr genau, dass wir sie sehr schätzen.

Sie haben den Harz gerade angesprochen. Gerade beginnt ja die Weihnachtszeit. Was für einen Baum stellt man sich als Bundesumweltminister eigentlich ins Wohnzimmer – echt oder künstlich?

Nein, schon echt. Früher habe ich die mal selbst geschlagen, inzwischen ist er gekauft. Meine Frau sucht ihn aus. Ich hol ihn dann und bau ihn auf.

Das Gespräch führten Bernhard Junginger und Jonathan Lindenmaier.

© Augsburger Allgemeine

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30. Weltklimakonferenz (COP30)

10. bis 21. November 2025 in Belém

01.12.2025 | Medienbeitrag Klimaschutz
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